Vulgar

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‘Vulgarity exposes the scandal of good taste’ Adam Phillips

Die Ausstellung  im Belvedere in Wien beschäftigt sich mit dem umstrittenen und zugleich fesselnden Thema des Geschmacks in der Mode. Kreationen namhafter Designer regen im Winterpalais des Prinzen Eugen noch dieses Wochende zum Diskurs über die Definition des „Vulgären“ an. Die historische Bandbreite der Ausstellungsobjekte reicht von der Renaissance bis heute. Die unterschwellige These der Ausstellungsmacher, gestützt durch Aussagen Coco Chanels oder Jonathan Swifts: Vulgarität und der so genannte „gute Geschmack“ sind letztendlich Einstellungssache.

Die Liste der möglichen Synonyme ist zwar lang; allzu viele positive Entsprechungen zu „vulgär“ lassen sich allerdings nicht auffinden: Von anrüchig über derb bis hin zu ungeschlacht und gar, freilich originell, schweinisch lauten die im „Duden“ verzeichneten Vorschläge etwa. Es handelt sich also bei einer Modeausstellung wie jener, die im Belvedere in Wien  in Kooperation mit dem Barbican Centre noch bis zum 25.6 zu sehen ist und die im Original „The Vulgar“, im Deutschen etwas zaghafter mit „Vulgär?“ überschrieben ist, auf den ersten Blick um einen ziemlichen Schocker.

Aber eigentlich geht es um ein Wechselspiel. Die neue Direktorin des Belvedere, Stella Rollig, lässt dazu wissen: „Die Zurschaustellung von Kleidung an einem musealen Ort bringt sie in einen neuen Kontext, der mehr bieten kann als die Schaufenster der Modehäuser.“ Die Übernahme der vom Barbican Centre in London produzierten Schau geht freilich darauf zurück das Kunst und Mode haben sich immer wieder gegenseitig inspiriert haben.

Bei „Vulgär?“ geht es darum freilich gar nicht: Es handelt sich tatsächlich um eine rein modegeschichtlich beziehungsweise. -soziologisch angelegte Ausstellung. Der Ausgangspunkt ist gewissermaßen interdisziplinär: elf Definitionen des Vulgären, vorgelegt von dem britischen Autor und Psychoanalytiker Adam Philipps, dienen als Grundlage für einen Dialog mit der Modetheoretikerin Judith Clark, als welcher sich der Ausstellungsparcours entspinnt. Clark greift die elf vorgegebenen Themenkomplexe (etwa: „Selbstdarstellung“, „Puritanismus“, „Extreme Körper“ oder „das neue Barock“) auf und reflektiert sie durch eine Zusammenstellung passender Positionen aus der Kostümgeschichte. Viele von ihnen sind zeitgenössisch , manches aber historisch und durchaus kurios.

So sehr sich Philipps freilich abmüht, mit seinen – gleichwohl originellen und kundigen –Definitionen eine möglichst große Bandbreite abzustecken: Oftmals kommt es zu Dubletten, die begrifflichen Überlappungen in
verschiedenen Kapiteln sind nicht zu Übersehen. Noch stärker äußert sich das bei der kostümhistorischen Übersetzung der Theorieaspekte durch Judith Clark: Gar manchesExponat würde ohne weiteres in mehreren Abschnitten funktionieren. Historisierende Kleider etwa könnten ebenso gut als Interpretation des Neo-Barocken gelesenwerden wie als extreme Ausprägungen der Körperform oder als Parvenu-Mode.

Monumental. Während das Barbican Centre ein sehr eigenwilliges Ensemble ist – und ein Juwel der brutalistischen Architektur –, bietet das Winterpalais des Belvedere der Ausstellung ein völlig anderes Setting. Im Barbican waren, etwa in einem dem Neo-Barock gewidmeten Abschnitt, Fototapeten mit Wänden des Winterpalais als Hintergrund angebracht worden. In Wien kann das selbstverständlich entfallen. Der auf Seiten des Belvedere zuständige Kurator, Alfred Weidinger, verweist im Gespräch wiederholt auf den für ihn besonders bedeutsamen Aspekt der offen angelegten Ausstellungsarchitektur: „Mehr als in London existiert bei uns eine Monumentalität des Ortes. Daraus ergibt sich unweigerlich die Chance, die Ausstellung auf eine andere Begriffsebene zu stellen. Vielleicht ist sie in Wien eine Spur frecher, weniger museal sein als in London.“

Die Ausstellung lockt ihre Besucher mit großenNamen – und das ist ja ein Novum in Wien:Galliano für Dior,Ghesquière und Jacobs fürLouis Vuitton, Prada und Lacroix wird es etwa zu sehen geben. So kann sich auch jederBesucher anhand sehenswerter Ausstellungsobjekte nochmals Gedanken darüber machen, ob, wie in der Wahrnehmung manch skeptischer Beobachter, womöglich die Mode in Bausch und Bogen als ein vielstimmiges Gezeter des Vulgären zu verstehen ist. In seiner besten und selbstbewusstesten Ausprägung, versteht sich.

Die begleitende Publikation zur Ausstellung (Verlag Buchhandlung Walther König) enthält Illustrationen und Essays der Ausstellungsmacher, sowie Interviews von Designern, die in der Schau zu sehen sind.

 

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