Mister Boombastic

#Mercedes #AMG #E63S #4matic

Optisch eine fast normale E-Klasse. Wären da nicht die dicken Auspuffrohre und die ausgestellten Kotflügel, könnte der E63 S brav am Taxi-Stand stehen.

Das Publikum honoriert’s mit eifrig gezückten Handys , bewundernden Blicken und unverhohlener Genugtuung oder nach oben gestrecktem Daumen. Wenn man Platz nimmt, weiss man aber, dass man hier wohl eher bei einem Limo-Service gelandet ist. Das Interieur erwartet einen mit wirklich luxuriöser Auslage, Leder bezogenem Cockpit, zwei riesige, jeweils 12,3 Zoll große Bildschirme statt analogem Tacho und Sportsitze Marke -passt wie ein Handschuh.

Es ist, so verkündet es Mercedes in aller Bescheidenheit, aber doch mit einem Anflug von Stolz, die stärkste E-Klasse-Variante aller Zeiten, schließlich gibt es etwas zu feiern. AMG, das ist jene Tochtergesellschaft der Daimler AG, die für die High-Performance-Fahrzeuge des Konzerns zuständig ist, feiert heuer das 50-jährige Bestehen.

Mercedes-Scharfmacher AMG hat hier also ein Meisterstück auf die Räder gestellt, nach dem Motto, aus Flughafenabholautos wie die E-Klasse, Taxi raus, und Power-Limousine mit acht Zylindern und 612 PS rein.

Auch unter der Karosserie haben die Ingenieure von AMG tief in die Technik-Trickkiste gegriffen und reichlich Spezialausrüstung in die E-Klasse eingebaut. Ein Dreikammer-Luftfedersystem hält den Wagen auch bei extremen Richtungswechseln nahezu aufrecht, steife Anbindungen der Fahrwerkslenker sowie eine Lenkung mit Feingefühl im Promillebereich lassen die Power-Limo dem Kurvenverlauf ebenso zackig wie präzise folgen. Eine Keramik-Verbundbremsanlage verzögert nachhaltig und fadingfrei.

En detail- führen an der Vorderachse neue Achsschenkel die Räder mit höheren Sturzwerten; die Gummis fläzen ihre Aufstandsfläche satter in die Kurve, was Untersteuern hinauszögert. An der Fünflenker-Hinterachse ist es ähnlich: Neue Längs- und Querlenker ermöglichen einen breiteren Stand, schieben die Räder weiter nach außen; das sorgt für die saugende Spurhaltung. Das typische AMG-Gefühl dagegen steuern die steiferen Lager bei. Sie stellen die Präzision sozusagen an den Fahrer durch – via Chassis und Lenkung. Antriebseinflüsse dagegen landen hier nicht.

Was AMG in den E 63 S +4matic noch so alles in sein  gesteckt hat: 9-Gang-Sportgetriebe, dynamische Motorlager (hart auf der Rennstrecke, weich auf holpriger Straße), Sport-Parameterlenkung,, wie schon erwähnt, zubeißende Bremsen bis zu Keramik-Carbon mit der Dimension 402 x 39 mm an der Vorderachse und natürlich eine „AMG Track Pace App“ für die Analyse der Fahrweise auf der Rennstrecke mit direkter Anbindung an – erraten: Facebook, Vimeo und Youtube.

Der Hauptdarsteller im E 63 S ist aber der Motor. Mit den PS gewinnt man zwar im Autoquartett, die Kraft, die uns vorwärtstreibt, ist aber das Drehmoment. Der AMG gestaltet die Drehmomentspitze von 850 Nm als Plateau zwischen 2.500 und 4.500 Umdrehungen, ein Bereich, in dem man sich viel aufhält. Die Leute die sich mit mit dem Motor beschäftigt haben, haben ihm aber erstens eineinhalb Liter Hubraum weggenommen, dafür 27 PS zusätzlich eingeblasen, außerdem 50 Nm mehr Drehmoment. Dafür verantwortlich sind die erstmals hier eingesetzten TwinScroll-Turbolader mit parallelen Strömungskanälen für je zwei Zylinder pro Zylinderbank, ergibt bessere Füllung der Zylinder mit Frischgas. Die Leistungsfähigkeit des E 63 S beeindruckend, man kann von einem Breitbandbiotikum sprechen.

Manege frei

Also frisch aufs Gas. Es ist eine einfache Übung und ein eigentlich unschuldiges Vergnügen, weil es auch ohne hohes Tempo geht: der Schub. Vom Stand weg auf 60 in ungefähr zwei Sekunden, das kann man an jeder ergrünenden Ampel aufführen.

Oder auf der Autobahn, dann aber nicht mehr so unschuldig: Der Sprung von 100 auf 200 dauert auch nicht lange, ist eher so ein Zuschnappen. Von 200 auf 300 haben wir nicht ausprobiert, aus diversen Gründen, einer davon war, dass unser AMG bei 250 abregelte. Nimmt man das Driver’s Package, bekommt man eine Einschulung („Gas! Gaaaas!!!“) und ein Auto, das 300 Sachen geht.

Aber jetzt lassen wir das Kind im Manne raus. Der erwähnte Racestart ist ein simples Werkzeug, um sich für ein paar Momente die verlorene Jugend zurückzuholen (vermeintlich, denn ach: Ein Traum ist alles). Beide Pedale treten, dann die Bremse loslassen und der Wagen geht durch wie gestochen Pferd.In 3,4 Sekunden auf Hundert. Der Lamborghini Huracán ist auch nicht schneller.

Jetzt aber geht´s zum Kurven-Walzer. Und wir meinen hier nicht die Autobahn. Sondern Landstrassen mit weiten Schwüngen. Enge Radien sind weniger für unseren Mister Boombastic geeignet. Da muss man mit dem Gewicht verhandeln. Shaggy hätte wohl seine helle Freude an dem Beat und dem Bass der vom Motor her als Schallwelle        beim Beschleunigen brandet. Es grollt tief und voluminös mit amerikanischem Akzent, Beim Anbremsen von         Kurven wird mit einem röchelden Auspuff-Schnalzer das Zwischengas intoniert.

Shaggy

I’m Mr. Boombastic say me fantastic touch me in my back she says boom
boom
boom

Der AMG involviert dabei seinen Fahrer, bezieht ihn ein, regt ihn an, aber nie auf. Man kann auch beiläufig mit Tempomat und Richtgeschwindigkeit vor sich hin schnüren – dank der Luftfederung mit drei Kammern und der effektiven Spreizung der Federrate. Dann merkt man nur am herberen Abrollen, dass es sich um die forderndste E-Klasse handelt.

Dank der verbindlich zupackenden Sportsitze mit optionaler Wangenverstellung steckt man mittendrin im großen Auto, das so gar kein Riese sein will, und dirigiert den schweren Wagen, der so gar nicht behäbig wirkt. Dicht dran am Hotspot der Fahrdynamik. Dass fast schon so eine Art Leichtfüßigkeit entsteht, liegt natürlich auch am Antrieb. Die unverhoffte ist aber auch Folge der Elastokinematik. Ebenso beeindruckend ist die Agilität, der E63 S verhält sich wie ein viel kleinerer und leichterer Sportwagen. Die Durchzugskraft beim Beschleunigen raubt immer wieder den Atem, der Klang des V8 benebelt, und die extreme Seitenführung in Verbindung mit einem sehr beherrsch- und berechenbaren Fahrverhalten verbindet dich ganz dicht mit der Straße – du bist auf fast unspektakuläre Weise enorm schnell unterwegs. Ein besonderes Allradprinzip wuchtet das tierische Drehmomentpfund sehr schnell und feinfühlig zwischen den Achsen hin und her. Auf Tastendruck kann das Auto sogar die Vorderachse entkoppeln (eine elektromechanische Kupplung trennt dann den Kraftfluss) und allein die Hinterräder durchdrehen lassen.

Drift-Modus

Denn die elektromechanisch geregelte Lamellenkupplung hat ein Faible für die Hinterachse, präferiert sie bei der Drehmomentvergabe. Im Race-Set-up verliert sie dann jeglichen Sinn fürs Ausgleichende, sobald man ESP ab- und damit den Drift-Modus anschaltet (den hat übrigens nur der S). Die Logik der Neungang-Wandlerautomatik muss pausieren, man fordert die Gänge manuell per Wippen an und schickt das komplette Drehmoment ans Heck – bis Tempo 120, darüber übernimmt die Vorderachse nach und nach wieder.

Das Drehmoment schiebt das Heck im Drift-Modus übrigens ebenso unverschämt, wie mühelos zur Seite. Weil die Twin-Scroll-Lader so diensteifrig auf Lastanforderungen reagieren, lässt sich ein Drift wunderbar modulieren und ausformen, verlängern oder eben abbrechen – ganz nach Wunsch und Fahrsituation.Wenn man sich hingegen auf die Balance eines Autos in der Kurve versteht, lässt man das Heck sanft nach vorne kommen, denn 4Matic+ als variabler Allradantrieb schickt im Race-Fahrprogramm (es gibt wie üblich Comfort, Sport, Sport+, Race und Individual) bei aktiviertem Drift-Mode dann das ganze Drehmoment nach hinten. Vorsicht: das ganze Drehmoment !!! So ein Drift-Modus dürfte sogar Sportwagenpuristen mit dem Allradantrieb versöhnen.

Man bekommt also die Fahrleistungen eines Sportwagens in einen Zweitonner und den Komfort einer Reiselimousine in einen Kurvenschlotzer. Dazu kommt, dass er im Innenraum zwar AMG-isiert wurde – etwa mit einer G-Force-Anzeige oder einem integrierten Messsystem für Rundenzeiten und Fahrleistungen. Andererseits ist der High-Performer aber eine grundsolide E-Klasse mit Touchpads im Lenkrad, Smartphone-Integration sowie Widescreen-Cockpit, wie man es auf gut Neudeutsch bezeichnet. Und natürlich mit einem imponierenden Arsenal an Unfallverhinderern bis hin zum Stauassistenten, an den sich der morgendliche Fahraufwand ins Büro teilweise delegieren lässt. Auch das erledigt der Power-Mercedes locker und leicht.

Nicht zu vergessen bleibt trotzdem das eine Power-Limousine eben doch einer gravitätischen Massenträgheit unterliegt, die nur durch den Einsatz von Leistung überwunden werden kann. Ein 500 Kilogramm leichterer Sportwagen wäre da effizienter? Stimmt. Aber packen Sie den mal für die Urlaubsfahrt mit der Familie – da müssen Kinder und Kegel eben zu Hause bleiben, oder im Stadtgeländewagen, pardon SUV, nachkommen. Im E 63 S können sie mit, es gibt ihn zudem auch als Kombi. Spätestens dann wird er praktisch zum automobilen Universaltalent.

shortcut

Wir mögen

Den Komfort einer Reiselimousine in einen Kurvenschlotzer.

Was fehlt ?

Dann den E 63 S doch als T-Modell und ultimativ tieffliegendes Raumwunder.

Was überrascht ?

Die unverschämte Mühelosigkeit nach vorn.

Wär perfekt, wenn ?

Wenn es da nicht noch den BMW M 5 gäbe.

Competition

BMW M5, Audi RS7 Sportback performance, Maserati 4Porte GranLusso GTS, Porsche

Panamera Turbo S E-Hybrid

-Ends-

copy mk    images beyondcoolmag  mobilecam Ralf Klingler

Technische Daten Mercedes-AMG E 63 S +: • Motor V8, Biturbo, vorn längs • Hubraum: 3982 cm³ • Leistung: 450 kW (612 PS) bei 5750/min • max. Drehmoment: 850 Nm bei 2500/min • Antrieb: Allradantrieb, Neunstufenautomatik • Leergewicht: 2036 kg • Vmax: 300 km/h • 0–100/200 km/h: 3,3/10,9 s • Bremsweg 200/100-0 km/h: 139,2/34,4 m • Testverbrauch: 13,5 l SP • Abgas CO2: 320 g/km •Sicherheit  EuroNCAP *****/95/90/77/62 % (2016).
Ausstattung  AMG-Frontschürze im Jetwing-Design, Sportsitze, Analoguhr im IWC-Design, Sitze in Nappaleder, elektr. Hinterachs-Sperrdiff., AMG-Sport-Parameterlenkung, Verbundbremsen, dyn. Motorlager, LED-Scheinwerfer, Sitzheizung vorne, Park-Pilot mit Rückfahrkamera, Remote Online (Fernabfragen, Standheizung etc.), Dynamic Select mit fünf Fahrprogrammen, Widescreen-Cockpit etc. • Preis: 122.427,20 Euro (D)

Hinweis im Sinne der Corporate Compliance Leitlinien: Die Teilnahme an internationalen

Fahrzeug- und Technikpräsentationen erfolgt großteils auf Basis von Einladungen

seitens der Automobilimporteure oder Hersteller. Diese stellen auch die hier zur

Besprechung kommenden Testfahrzeuge zur Verfügung.